Die wissenschaftliche Methode - warum bleibt eine Theorie theoretisch

Kategorien: philosophie

Es wird manchen wissenschaftlichen Theorien vorgeworfen, dass sie ja "nur" Theorien sind, und nicht bewiesen seien und daher jede andere Theorie, vor allem nicht wissenschaftliche, genauso valide sei.

Im vorigen Blog-Eintrag haben wir gelernt, was eine wissenschaftliche Theorie ausmacht: sie muss eine Voraussage machen, welche von Beobachtungen bestätigt, oder aber widerlegt, wird. Und es ist diese Bereitschaft, diese Theorie der harten Realität der Fakten zu unterwerfen, die sie wissenschaftlich macht.

Aber warum bleibt diese Theorie eine Theorie, und ist es schlimm, Doktor?

Fangen wir mit einem einfachen (Gedanken)experiment an

Sie sind Wissenschaftler in der Welt der Zahlen und beobachten also…​ Zahlen.

Mit einem neuen Gerät, das Sie erfunden haben, sind Sie als Erster auf der Welt in der Lage, eine neue sehr interessante Zahlenreihe zu beobachten. Deren Anfang sieht aus wie folgt:

1, 2, 3, ein Fragezeichen, in verschiedenen Farben
Abbildung 1. 1…​2…​3…​und weiter?

Sehr mysteriös und spannend! Diese Reihe geht weiter aber Sie sind mit dem aktuellen Stand der Technik nicht in der Lage, diese Zahlenreihe weiter zu beobachten. Trotzdem, oder vielleicht deswegen, wollen Sie diese Zahlenreihe versuchen zu erklären, und stellen dafür eine Theorie zusammen, und, weil Sie wissenschaftler sind, soll diese Theorie auch eine Voraussage beinhalten.

Welche Theorien können Sie sich ausdenken? Und wie soll die Zahlenreihe weitergehen? Auf den kleinen Dreieck klicken, um meine Theorie(n) zu entdecken

Es gibt bestimmt andere Möglichkeiten, aber ich habe mir folgende Theorien (und Voraussagen) ausgedacht:

Jede neue Zahl ist höher um 1 als die Vorige

die Reihe geht mit 4, 5, 6, usw weiter.

Jede neue Zahl ist die Summe der zwei vorigen Zahlen

die Reihe geht mit 5, 8, 13, usw weiter.

Die Reihe schwingt zwischen 1 und 3

die Reihe geht weiter mit 2, 1, 2, 3, usw.

Die Reihe ist im Schneidezahn

die Reihe geht mit 1, 2, 3, 1, usw weiter.

. . .

Als ordnungsliebender Mensch,[1] finden Sie die erste Theorie am Attraktivsten und konzentrieren sich darauf.

Sie müssen jetzt "beweisen", dass Ihre Theorie[2] richtig ist. Aber können Sie das? Sie werden Ihre Methode und Meßgeräte verbessern, und die nächste Zahl der Reihe entdecken. Oder Wissenschatlerkollege werden das machen, spätestens nach Ihrem Tod, denn Vertrauen ist gut aber Kontrolle ist besser.

Angenommen diese Zahl ist eine 4, und die nächste eine 5, usw. Sie haben zwar Ihre Theorie bestätigt, aber Sie haben sie nie bewiesen, denn die nächste entdeckte Zahl könnte aus der Reihe tanzen, und Ihre Theorie endgültig widerlegen. Und das geht so weiter, jede neue korrekte Zahl bestätigt Ihre Theorie, aber eine einzelne falsche bringt Ihre Theorie ins Wanken.

Was haben wir soweit erfahren?

  • dank der gemachten Voraussage, ist es möglich eine Theorie zu widerlegen oder zu bestätigen.

  • es ist sehr einfach eine Theorie zu widerlegen, denn es reicht eine konträre Messung.

  • es ist allerdings ein Ding der Unmöglichkeit, eine Theorie zu "beweisen", denn auch tausend passende Messungen können durch die 1001. unpassende zunichte gemacht werden.

Ist es dann richtig, dass jede andere Theorie genauso gut ist, wie die eine, die 1000mal bestätigt aber nie bewiesen wurde? Natürlich nicht, denn wenn eine Theorie 1000mal bestätigt wurde, von verschiedenen Teams, durch verschiedene Verfahren, auch durch andere Folgetheorien, die darauf aufbauen und auch selbst bestätigt wurden, dann ist diese Theorie von der wissenschaftlichen Welt anerkannt, und das ist fast so gut wie sicher.

Wie sicher sicher ist, können wir wie folgt abschätzen:

  1. Wir haben ursprünglich vier verschiedene Theorien, mit vier verschiedenen Folgezahlen als Voraussage, d.h. die Chance, dass wir zufällig eine dieser Zahlen bei unserer nächsten Messung treffen, liegt bei 25%.

  2. Das ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Theorie falsch ist (bzw. dass die Zahl rein zufällig getroffen wurde[3]), falls eine 4 als nächste Zahl in der Reihe ermittelt wurde.

  3. Falls eine 5 danach kommt, liegt die Wahrscheinlichkeit bei 25% x 25% = 6,25%; mit einer 6 danach, liegen wir bei etwa 1,56%, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Theorie richtig ist, liegt bei 98,4% nach nur 3 passenden Messungen.

  4. Bei 100 passenden Messungen liegt die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Theorie falsch ist bei 6 mal 10 hoch -59 prozent, das sind 58 Nullen nach dem Komma gefolgt von einer 6, und das ist sehr sehr (sehr!) klein. Bei 1000 hat mein Taschenrechner den Geist aufgegeben, aber das wären ungefähr 600 Nullen gewesen. Die Theorie wäre deshalb ungefähr so sicher:

99,9…​9%, mit 600 mal 9 nach dem Komma
Abbildung 2. Viele Neuner…​

Können wir uns darauf einigen, dass es ziemlich sicher ist?

Und dass keine dahergelaufene wilde Interpretation unserer zig-mal bestätigten Theorie ebenbürtig sein kann?

In diesem Sinne

Eine Theorie kann also viel einfacher widerlegt als bewiesen werden, und das macht den Beweis um so wertvoller, auch wenn er streng genommen nur eine Bestätigung ist.

Ist Ihnen die Parallele zum Rechtsstaat aufgefallen, wo nicht der Angeklagte seine Unschuld beweisen muss, sondern Polizei und Justiz seine Schuld belegen müssen? Eine Lüge zu entlarven ist nämlich einfach, ein Gegenbeweis reicht, sonst heißt es „im Zweifel für den Angeklagten“.

Lügen, oder Fake News, lohnen sich nicht!


1. Wir wollen ja nicht behaupten, dass Wissenschaft nicht auch menschelt!
2. ja, ja, wir werden sie die unbenannter-Leser-eines-unbedeutenden-Blogs-Theorie nennen
3. ich weiß, nicht ganz das Gleiche, aber nah genug

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